„art-imaginär 2011”: Blick in eine andere Welt

„DIE RHEINPFALZ” (24.Oktober 2011)

Blick in eine andere Welt
Zum vierten Mal präsentiert der Mußbacher Herrenhof Glanzlichter der phantastischen Kunst

VON CAROLINE MANNWEILER

In neue, andere Welten zu entführen, verspricht heutzutage jede bessere Werbung für jedes mehr oder weniger ausgefallene Produkt. Und doch bleibt es ein rares und desto beeindruckenderes Erlebnis, in andere Welten zu schauen. Die 55 Künstler, die in der Ausstellung „art-imaginär" im Herrenhof in Neustadt-Mußbach vertreten sind, gewähren uns solch seltene Einblicke.

Alle zwei Jahre lädt das Kulturzentrum Herrenhof zur „art-imaginär", einer internationalen Ausstellung der phantastischen und visionären Kunst, die bislang auf große Resonanz beim Publikum gestoßen ist. Während die professionelle Kunstwelt die phantastische Kunst lange als Randphänomen der Kunstströmungen betrachtet hat, lassen sich die Zuschauer die Gelegenheit nicht entgehen, die geheimnisvolle Kraft der Phantasie auf sich wirken zu lassen.
Unbändig, keiner Nachahmung der Realität verpflichtet, präsentieren die Phantasten – so nennen sich die Künstler der phantastischen Kunst – Bilder und Skulpturen, die uns fremdartig erscheinen, aber unwillkürlich ansprechen. Gerade dort, wo Sprache versagt: Zwar sind die Bilder der Phantasten deutbar, oft figürlich und mit symbolisch aufgeladenen Elementen gespickt – Totenköpfe, Dämonen, mythologische Figuren oder wunderbare Tiergestalten, doch was sie sagen wollen, lässt sich nur schauen.

In Hanns Joachim Gesterings Werk „Jeanne endgültig liegend" sehen wir eine liegende Frau, die Augen geschlossen, gen Himmel gerichtet; sie trägt eine Rüstung, die ihre Brüste betont, ihre Scham ist entblößt. Natürlich denken wir an Jeanne d'Arc, die Frau und Kämpferin, doch was heißt es, an Jeanne d'Arc zu denken? Und was heißen die Knochen, Totenköpfe und rauchenden Meiler im Hintergrund des Bildes, was heißt es, dass Jeannes Bein nur Knochen ist, dass ihre Lippen rot, ihr Gesicht aber wie eine Totenmaske auf ihrem Kopf liegt? Lässt sich die Spannung, vielleicht auch die untergründige Komplizenschaft zwischen dem Weiblichen und dem Zerstörerischen, zwi-sehen den träumenden Augen und der graublau kalten Umwelt auf einen Begriff bringen? Gewiss auf keinen, der auch nur annähernd die Tiefe und fast betörende Aura von Gesterings „Jeanne" zu vermitteln vermag. Gestering wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden, weshalb die Ausstellung ihn besonders würdigt.

Neben bekannten Phantasten aus früheren Ausstellungen wie Edgar Ende (dem Vater Michael Endes), der wie der Kurator und Künstler der Ausstellung Otfried H. Culmann betont, schon vor Magritte und Dali „surrealistisch" malte, zeigt „art-imaginär" auch neu hinzugekommene Künstler, darunter den Kaiserslauterer Thomas Brenner, der im so realistischen Medium der Fotografie surreal-dramatische Szenen komponiert.
[Die Phantasten erschaffen  keine Über- oder Gegenwelt,  sondern eine neue. Der Begriff „surreal" mag als Krücke der Beschreibung dienen, dem Schöpferisch-Visionären der phantastischen Kunst, das keine Über- oder Gegenwelt, sondern eine neue Welt erschafft, wird er nicht ganz gerecht.)

Aus der surreal anmutenden Kombination von Körperelementen im Werk des, der pfälzischen Sezession nahestehenden, Karl Kunz geht eine neue, figürlich-expressive Welt hervor – zu einer Zeit, als die Kunstwelt der Abstraktion huldigte. Dem Werk des 1971 verstorbenen Kunz ist in der Parkvilla des Herrenhofs eine beeindruckende Sonderausstellung gewidmet.
Eine kleinere Sonderausstellung zeigt Werke des Elsässers Raymond Waydelich, dessen Objektboxen eine träumerische Mystik der Dinge freilegen. Erneut bei „art-imaginär" vertreten sind Werke aus der Sammlung Westermann, deren gemeinsame Auflage es ist, eine Box im Werk zu enthalten. Was in die Box gemalt wird, ob sie leer bleibt, ob der Rest des Bildes in sie hineinwuchert, ist den Künstlern überlassen. Den Künstlern – und ihrer Phantasie.

DIE AUSSTELLUNG
Die Ausstellung „art-imaginär 2011" ist bis 27. November im Herrenhof zu sehen. Öffnungszeiten sind samstags, 14 bis 18 Uhr, sonn- und feiertags, 11 bis 18 Uhr, und mittwochs, 18 bis 20 Uhr.