Anmerkung zu den „Phantasten"

 (um 1985) mit freundlicher Genehmigung von Dr. Richard P. Hartmann:

Nationalsozialistischer Terror und Kriegswirren klingen noch nach, während überall mit dem Wiederaufbau begonnen wird. Dieses Seinsgefühl findet in einer phantastischen Kunst ihren Ausdruck, welche nun zum epochalen Stil nach 1945 wird. Fünf Hauptvertreter der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus" schließen sich unter diesem Namen zu einer Gruppe zusammen. Auch sie bedienen sich des triebhaft-animalischen Gestaltprinzips des Manierismus, doch ihre Bilder wirken im Vergleich zu denen der übrigen Weltproduktion wie selbstverständlich, natürlich, naturhaft und binden sich zugleich lückenlos, ohne Risse und Bruchstellen zur Tradition, in die österreichische k. u. k. Kunstgeschichte ein. Man möchte ganz lapidar sagen, sie entspringen dem österreichischen Empfinden und vermitteln den österreichischen Charakter. Voraussetzung für diese so selbstverständliche Handhabung der Thematik — ganz allgemein im Bewusstsein und speziell in der Bildsprache — ist die über Jahrhunderte vollzogene Integration individueller und gesellschaftlicher Verhallensweisen in den jeweiligen Lebensraum, wie ihn Welt und Umwelt vorgeben. So lag es nur nahe, dass die Österreicher diese ihre Kunst, welche ihre Probleme, Stimmungen und Wünsche adäquat vermittelte, als Sammler honorierten.

Die bislang abschätzige Beurteilung des Manierismus gegenüber der Klassik in der europäischen Kunstgeschichte erfuhr nach dem Krieg durch Einbeziehung aktueller soziologischer und psychologischer Sichtweisen eine Neueinschätzung. Viel beachtet wurde Gustav R. Hockes Nachweis, dass „Manierismus in der Kunst" und Literatur immer in Krisenzeiten auftauchten.' Die langandauernden Wirren eines Dreißigjährigen Krieges z. B. ließen den „harmonisch schön" besetzten Leitbildcharakter einbrechen, der die abendländische Kunst in ihrem Selbstverständnis dominierte. Im Manierismus wird die spannungsreiche kämpferische Auseinandersetzung zum Mittel von Form und Inhalt, wobei allerdings der historische Manierismus, im Gegensatz zur modernen Kunst, nie den Diskurs mit dem klassischen Vorbild im Sinne des bis zur Vollendung Sublimierten abreißen ließ. Stets blieb der Manierismus zu diesem Hintergrund in dialektischer Syntax verbunden.

Hocke wurde von der nachfolgenden Generation sodann quasi zum Ahnherrn einer modischen Kunstsoziologie erkoren, welche den Mythos der Kunst diffamierte, ihre mimetischen Kräfte verleugnete und so schließlich in einer kunstfeindlichen Ideologie erstarrte, die noch heule das Klima der Kunstgeschichte beeinträchtigt. In späteren Arbeiten verwischte Hocke leider die von ihm herausgeschliffenen Konturen der Manierismusdefinition, als er die Abgrenzung zum übrigen Spektrum der Moderne lockerte und sogar die gegenstandslose Kunst miteinbezog, wie z. B. einen Gerhard Hoehme. Inzwischen hat sich jedoch die Moderne mit allen Facetten der Avantgarde und ihren inzwischen schier endlosen Repliken ein weitaufgefächertes Arsenal des menschlichen Bildmaterials aus Inhalt und Form ausdifferenziert, über das der Zeitgenosse in diversen Medien weitgehend frei verfügt, und das in einem gigantischen Bildkonsum popularisiert und vermarktet wird.

Das erinnert an das fernöstliche Kunstbewusstsein, welches seine extrem unterschiedlichen Stile und Schulen nicht in Epochen zeitigt, sondern nebeneinander und unabhängig voneinander ausbildet. In japanischen Klöstern etwa wurden jahrhundertelang Rollenbilder desselben Stils gemalt, die wir — wollten wir sie mit den uns vertrauten Stilbegriffen umschreiben — als gotisch, barock oder abstrakt bezeichnen möchten, wobei letztere uns z. B. an Motherwell, Matthieu oder Härtung erinnern könnten. Man sieht: es unterscheidet sich generell die europäisch tradierte Bildkunst, Architektur und Stadtkonzeption, wo ein Stil wie Renaissance oder Barock das Welt- und Lebensgefühl einer Gesellschaft zu ihrer Zeit widerspiegelt, von anderen Sichtweisen innerhalb einer Kultur.

Aufträge von Kirche und Staat, Bürgern und Stadt veranschaulichen, wie die magisch fundierende Kraft des Bildes bis in die Spätromantik hinein in den Dienst eines emotional-rational verbindlichen Kollektiverlebens gestellt wird und somit den Einzelnen integriert. Der sich ausbreitende Funktionalismus in der Moderne verzichtet auf die „magische Anverwandlung". Die Kunst wird zur Privatsache reduziert, dem Interesse von Psychologie und Psychopathologie freigegeben. Damit ist der Ansatz gegeben, die ästhetisch-geisteswissenschaftliche Diskussion auf eine naturwissenschaftliche Ebene zu heben.

Auf die „Patho-Logik" ist des öfteren angewiesen, wer Aussagen über natürliche Lebensprozesse machen möchte, da diese sich im Normalfall unbemerkt abspielen. Um die Stellung der psychischen Tiefenschichten zu erkennen und ihre Dynamik zu beobachten, gilt es, eine evozierte Ausnahmesituation zu erzeugen.

Im folgenden sollen stichwortartig einige Ergebnisse angeführt werden, die aus umfangreichen Untersuchungen gewonnen wurden.

II.

Die Regression des bildnerischen Ausdrucks gibt einen Einblick in das integrative Zusammenwirken von Inhalt und Form der Wahrnehmungsgestaltung. Es begegnet uns dabei nicht nur das Triebhaft-Animalische, von dem ein kleiner Ausschnitt aus den psychoanalytisch untersuchten Trauminhalten bekannt ist, sondern wir stoßen auf das volle Spektrum zwischen Bewusstein und Unbewußtem, Schicht um Schicht, jede in ihrer eigenen Bildsprache:

— Zunächst Tierwesen und Triebgestalten in aktiver Einstellung der Bewusstseinslage, oder Pflanzenwesen und florale Formen in passiver Einstellung (Fauna, Flora).

— In einem tieferen Zustand sind rhythmisch-omamentale, oder geometrische Bilder als Ausdruck anorganischer Strukturierung einer fast autistischen Weltbegegnung anzutreffen (Ornament).

— Das Endstadium dieses Kontinuums ist gekennzeichnet von einem Zusammenbruch der Gestaltbildung, was sich als mystische Erleuchtung in einfarbigen Lichträumen oder in ihrem Erlöschen bei extremer Bewußtseinsenge vermittelt (Licht, Dunkelheit).

Das stufenweise Abtragen der Bewusstseinsschichten vollzieht sich in der Halluzinose z. B. unter besonderen Psychopharmaka psychoautomatisch, sodass man sich den Wahrnehmungsveränderungen nicht widersetzen kann, sie drängen sich auf. Das regressive Kontinuum, das sich mit derselben umgekehrten Reihenfolge des evolutionären Prinzips in Anschauung bringt, vollzieht die moderne Kunst. Auch sie unternimmt eine Anverwandlung, die vom normativen, auf die Realität bezogenen Bewußtsein bis in das Unbewußte reicht. Der Unterschied zur Psychose liegt also nur in der Tatsache, daß sie ihren Weg mehr oder weniger freiwillig beschreitet, und nicht zur Regression gezwungen ist.

Wie frei oder zwanghaft allerdings ein Mensch handelt, sollte nicht vorschnell entschieden werden. Fragen wir nach der Motivation und den seelischen Instanzen, die das Geschehen dynamisch gestalten, befinden wir uns auf tiefenpsychologischem Terrain: Ich, Es, Überich und Außenwelt werden in ihren Auseinandersetzungen beobachtet und ihre Aktivitäten in die Grenzgebiete hinein verfolgt. Die psychoanalytische Interpretation findet vor allem ihre Domäne im Realismus und im Manierismus. Ihre Aussagekraft versandet hingegen angesichts des derealen und autistischen Verhaltens in Zuständen des Ichabbaus, das gekennzeichnet ist von geometrischer und rhythmisch-ornamentaler Gestaltung, oder aber beim Zusammenbruch jeglicher stalt.

Den verschiedenen Charakteren des Realismus, der Klassik, des Naturalismus und der Phantastik liegen unterschiedliche Artikulationen von Ich, Es, Überich sowie unterschiedliche Umweltaspekte zugrunde, die zu unterschiedlichen Erlebnisqualitäten führen. In der Klassik ist ein natürlich erlebendes, in die Welt integriertes Ich einem Ideal zugewandt, wobei in den Phänomenen von lebendiger organischer Natur eine transphänomenale metaphysische oder auch eine utopische Vision aufscheint. Eine Harmonie zwischen dem Natürlichen und dem Realen, zwischen dem Ich und dem Überich wird angestrebt. Rational wie emotional gilt es der Natur zu entsprechen, sie zu erkennen und in einer ideehaft positiven Richtung zu entwickeln und zu demonstrieren. Das Schöne, Gute, Wahre sind deren klassische Trias. Die Forderung, dieses Ideal zu leben, als dominierender Anspruch des Überich, die Ich und Es erfüllen sollen, erzeugen in der Praxis oft Druck und Zwänge. Freud bezeichnet sie einmal als „sadistisch".

Die Akzentuierung des Rationalen im Neoklassizismus und des Emotionalen in der Spätromantik künden dementsprechend von einer Krise. Dem folgt das Erwachen eines neuen, „modernen" Lebensgefühls.

Der Realismus verzichtet auf die Demonstration des Vorbildhaften. Das Allgemeine, das Grundsätzliche, das Überzeitliche treten zurück, die vitalen Belange des Menschen hervor. Das Aktuelle wird fokussiert, herauskristallisiert und isoliert, sei es als individuelles Problem oder als gesellschaftliches. Je nach Interessenslage, sei es „Libido zu", oder „Bedrohung von", werden mehr die Innenwelt oder aber die Außenwelt— in triebhaft-animalischer oder floraler Gestaltung — vermittelt. Die fehlende Bereitschaft, sich an die Natur rückzubinden, stellt sich dabei zuweilen als ein Verlust des transphänomenalen Hintergrundes, als Monismus, dar.

Die Grenzsituationen zum Unbewussten werden durch den Manierismus beherrscht. Das manieristische Prinzip stellt darin die Unvereinbarkeit von Ich, Es und Überich in der Auseinandersetzung mit der Außenwelt vor. Die kämpferisch veranlagten Dimensionen des Ich (Selbstbild und Ichstärke) werden dabei in Mitleidenschaft gezogen. Die Schichten des Triebhaft-Animalischen treten demzufolge offen zutage. Konflikte lassen sich nicht verbergen; Inhalt und Gestalt des Seelischen werden von den Ereignissen gezeichnet. Mag sich auch, etwa in einem höheren Sinnzusammenhang, aus der Krankheit ein Gewinn für das Individuum ziehen, z. B. als Lebenserfahrung, Kulturfähigkeit, Sublimation, so leidet der Einzelne dennoch in der Praxis an der Welt und sie an ihm.

So wie es sich bei körperlicher Krankheit um eine Auseinandersetzung zwischen dem Krankheitsfaktor, der die organischen Funktionen behindert, und den auf Wiederherstellung bedachten Abwehrkräften handelt, so ist das manieristische Erleben und Handeln geprägt von einem die Realität einengenden Prozeß und zugleich von einem Heilungsversuch, der kompensatorisch den intrapersonalen und innerweltlichen Funktionskreis durch Kommunikation aufrecht hält und damit eine Restitution einzuleiten vermag. Eine Antwort darauf zu finden, wohin sich allgemein der Manierismus entwickelt, ob zur Integration in die Wirklichkeit oder zum Vordringen ins unbewußt Archaische, dabei dem Anorganischen sich zuwendend, kann nicht allein aus der Symptomatik herausgelesen werden. Den Verlauf gilt es vielmehr zu beobachten. Ist der Manierist gar der Outcast, der leidend erfährt, ausgestoßen zu sein, oder der mitleidend ausbricht? Ist er das Individuum, das aufschreit gegen die Entfremdung einer Gemeinschaft? Handelt es sich bei seiner Kunst um die Qual des Erkennens oder die Freude an der Zerstörung, am Zerstückeln, Torsi und Phantome zu erzeugen? Ist es bei ihm die Lust an der Provokation, an Chaos und Anarchie, die besticht?

III.

Manierismus gleicht dem Fieber, er ist ein Symptom des Übergangs. Er gleitet vom Leben hinüber in die Tiefen des Archaischen, des Nichtseins und schließlich des Todes. Doch gilt es seine Unterschiede, wie etwa des Phantastischen, zu beachten: die des Phantastischen Realismus auf der einen, des Surrealismus und des Psychischen Automatismus auf der anderen Seite. Wie z. B. der Galgenhumor des beispielhaft jüdischen Witzes die Absurdität einer unerträglich gewordenen Gegenwart bloßstellt, so unternimmt das Phantastische einen Restitutionsversuch einer bildsprachlichen Auseinandersetzung mit der Realität. Die rationale und emotionale Energie sind dann mobilisiert, eine Aktionsbasis aufrechtzuhalten. Es ist wie eine letztmögliche Artikulationsform vor dem Aufschrei.

Aus der Unmittelbarkeit von Schmerz und Leid löst sich der Schrei aus der Tiefe des Selbst und wird zum ursprünglichen Ausdruck des Expressionismus. Hingegen verspottet der Zynismus noch zusätzlich den Geschädigten ob seines Missgeschicks.

Der Surrealismus dagegen mobilisiert die seelischen Kräfte gegen die Natur und gegen die Kultur. 4 „Der Marquis de Sade, im neunzehnten Jahrhundert wenig bekannt und missverstanden, wird das zwanzigste Jahrhundert beherrschen", eine Erkenntnis Freuds, die weniger der Prophetie denn der Beobachtung entspringt. Ein zwar vorhandener, aber bis dahin nie hervorgekehrter „sadistischer" Hass gegen alles, was bis zu diesem Zeitpunkt eine humane Ordnung auszeichnete, wird zum Dogma erhoben. „Der Marquis de Sade ist die Hauptfigur des Surrealistischen Pantheons", darf Nadeau verkünden. Die Manifeste der Surrealisten strotzen von Belegen derartiger Aussagen.

IV.

Krass unterscheidet sich die Wiener Schule von dem französischen Surrealismus Breton'scher Prägung: Letzterer manifestierte 1929: „Der wahre surrealistische Akt besteht darin, mit dem Revolver in der Hand auf die Straße zu gehen und blindlings drauflos in die Menge zu schießen". Wird hier elementarer und spontaner Destruktionswillen verherrlicht, so stellten die Österreicher ihr beachtliches Geschichtsbewußtsein dagegen, ihre in Jahrhunderten gewachsene Fähigkeit des Überlebenswillens in Anpassung und Durchsetzung. Trotz ethnischen, nationalen, kulturellen und religiösen Völkergemischs mit all den sozialen Spannungen in einer Stadt wie Wien (mit 80 % Nichtösterreichern) konnte von hier aus eines der größten Weltreiche lange gesteuert werden, gemäß der Devise: Um ein Kaiserreich zu führen und zu verspielen, braucht man weder eine politische Ideologie noch eine Armee wie z. B. die Preußen, weder Revolution, wie z. B. die Franzosen, noch Bürgerkriege wie z. B. heute im Libanon; denn wer es gelernt hat, sich auf ein stimmiges manieristisches Weltbild einzustellen, lebt auf die Dauer gar nicht schlecht damit. Je größer dabei das Engagement, desto größer der kreative Output.

Nun könnte man daraus schließen, dass es genüge, sich derartige Ideen auszudenken, sie sich vorzustellen, zu phantasieren, zu träumen: Von Probehandlungen hat Freud in diesem Zusammenhang gesprochen. Auch wenn Träume mit ihrem subjektiv empfundenen Wahrhaftigkeitscharakter den Zweck des manieristischen Gestaltprinzips verfolgen, besitzen sie dennoch nicht dieselbe Erlebensqualität wie die real ablaufende Spielhandlung in Theater, Film und Bild. Zwar haben alle „Bilder", sobald sie in uns hochsteigen, Erlebniswert. Aber infolge ihrer symbolischen Existenz — halb Natur, halb Kultur—macht es die entscheidende Qualität, wie leibhaftig sie dahingestellt werden, so daß sie uns vital gegenübertreten, und wir ihre motorische Wirkwelt mitverfolgen und nachvollziehen können. Gemäß der komplementären Bezogenheit von Merk- und Wirkwelt muß der optische „Fernsinn" durch den „motorischen" Umgang mit den Dingen erst einmal codiert und dann permanent in lebendigem Funktionsaustausch trainiert werden.

Kein anderes Volk hat aus dem manieristischen Prinzip, aus der Fähigkeit, die Unvereinbarkeit auszuleben, soviel geistiges und künstlerisches Kapital geschlagen, mit derart konsequent praktizierter irrationaler Logik soviel Kulturleistung erbracht, wie Österreich. Bezeichnen wir allgemein die Kunst der  Wiener Schule als „Forum der einwärtsgewendeten Optik" (so der Titel eines R. Hausner-Bildes von 1948), dann befreit R. Hausner die triebhaft-animalischen „unbewußten" Inhalte durch „psychoanalysierende" Bewußtwerdung, E. Fuchs durch das Religiös-Mystische, und A. Lehmden bindet das Phantastische in den Naturmythos der Donauschule ein. Der lyrische Stil Brauers, stark vom Chassidischen beeinflußt, hat dabei von Anfang an das Trieb-Dynamische durch eine florale Form auszugleichen versucht. In ähnlicher Weise hat das neunzehnte Jahrhundert die archaischen Märcheninhalte behandelt, indem es die naturhafte Wahrheit in ein florales Gewand gekleidet und damit emotional ausgeglichen hat, gemäß der aktuellen differenzierteren Bewusstseinslage. Natürlich ist damit nicht die tierisch-menschliche Basismotivation der existentiellen Funktionskreise außer Kraft gesetzt: Sei es der Nahrungskreis, die Abhängigkeit, sich von Lebendigem ernähren zu müssen (das Leben auf Kosten anderen Lebens zu steigern, wie H. Plessner dies artikuliert), sei es der Geschlechtskreis, aus dem wir ebenfalls nicht entlassen sind; Eros und Thanatos, die Verwaltung von Leben und Tod müssen seinsaktiv gestaltet werden.

Wer aber in W. Hutters „Künstlichem Paradiesgarten" verzaubert wird, wird sich nur ungern am rationalen Ariadnefaden aus diesem Traum-Labyrinth erretten lassen. Wem es gelingt, der mag die Vision vom „Abstrakt-Geistigen in der Kunst" in der strengen Färb- und Formkontrapunktik genießen. Die Hutterschen Farb-Täfeln sind in derart subtiler Klangphantasie komponiert, von der Vater Kandinsky nur träumen konnte.

 V.

Das aber ist das Eigentliche an der Kunst der „Wiener Schule"; es ist derart augenfällig, dass das darüber Sprechen schon als Pleonasmus erscheint: Die vollendete Meisterschaft des Handwerklichen radikal und ausschließlich im Dienste der Bildsprache einzusetzen. So könnte man denn anstatt vom „Inhalt" der Bilder und ihrem psychosozialen Hintergrund auch und nur von „Kunst als Kunst" sprechen, diese vollendete l'art pour l'art bewundern. Derartig intensive Kunstpower, zum Leitbildcharakter sublimiert, gar als Schule konzentriert und über 45 Jahre praktiziert, ist einmalig und vorbildhaft in dieser sonst oft kunstfeindlichen und von trostlosen Unkunstprodukten übersäten Welt.