Die Phantastische Kunst heute

Das Phantastische ist eine ständige Unterströmung der Kunst, die zu verschiedenen Zeiten im Manierismus, der Romantik, im Symbolismus und Surrealismus als Ausdruck gesellschaftlicher Krisen, aktueller Unsicherheit und einem tiefgreifenden technischen Umbruch in Erscheinung tritt. Die Visionen sind geprägt von Vorahnungen kommenden Unheils, der Suche nach Orientierung, düsteren Imaginationen oder der Vision von einer anderen, wundervollen Welt. Selten ist der Phantast im Einklang mit aktuellen Kunstströmungen, meist geht er seinen eigenen Weg – schaut stärker nach innen als nach außen, fixiert nur seine Visionen, die in ihm aufsteigen.

Diese Fokussierung auf die Innenwelten hat dazu geführt, dass sich phantastische Künstler nur selten oder nur für kurze Zeit an Gruppen Gleichgesinnter zusammenschließen.
Nicht selten wird der Phantast wegen seiner spezifischen Haltung von der gerade aktuellen Kunstszene angefeindet, verlacht – als Reaktionär, als Anti-Avantgardist an den Rand gedrängt, was ihn wiederum veranlasst, auf noch größere Distanz zu gehen: Besonders gegenüber den Künstlern, die nicht seinem Kunstverständnis und seinem Qualitätsmaßstab entsprechen. Das Ergebnis seiner Eigenart ist, dass seine Bilder oft bewundert werden, er aber nicht wie die Künstler anderer Kunsttendenzen in Bataillonsstärke auftritt und über "Generäle" an kulturellen Schaltstellen verfügt, die für ihn die optimale Strategie auf dem Feld der Kunstszene entwickeln. Bei manchen seltenen Konstellationen der Weltgeschichte treffen sie zusammen, wie bei den Pariser Surrealisten der dreißiger Jahre, die glaubten, endlich von einem weitsichtigen Menschen verstanden zu werden. André Breton, Arzt, Schriftsteller und Philosoph, verstand es immerhin, viele von ihnen bei seinen Ausstellungen zu vereinigen. Breton zeigte sich über ihre Kunst begeistert, wie er sich überhaupt für Vieles begeistern konnte, was ihm revolutionär erschien. Breton war jemand, der um sich herum immer Menschen brauchte, mit denen er diskutieren, denen er aber auch durch seine Auftritte imponieren konnte.
Dementsprechend war er auch Ursache unzähliger Streits, Hinauswürfe, Bannsprüche und Gruppenaustritte. Die Maler sahen dem Treiben der surrealistischen Literaten und dem Spektakel der Breton-Jünger eher aus einer gewissen Distanz zu, unterschrieben gelegentlich eine Resolution, malten ihre Bilder und stellten in Paris oder anderen Ländern gemeinsam aus.

Während sich auch in anderen europäischen Ländern surrealistische Gruppen bildeten, gingen Max Ernst, Oelze und Bellmer für mehrere Jahre nach Paris. In Deutschland wurde das politische Klima für abstrakte, aber auch für surrealistische und phantastische Kunst immer schlechter, zumal der Krieg ausbrach und man selten Informationen über Kunsttendenzen in anderen Ländern bekam. Edgar Ende erhielt als entarteter Künstler Berufsverbot, Bele Bachem Veröffentlichungsverbot, Mac Zimmermann wurde von der Gestapo verhaftet, Fabius von Gugel floh nach Italien.
Man hätte annehmen müssen, phantastische Künstler hätten nach dem Krieg endlich frei malen und ausstellen können, doch wer die Berichte von deutschen veristisch-phantastischen Malern wie Edgar Ende, Radziwill, Zimmermann usw. aus der Nachkriegszeit liest, wird mit Bestürzen feststellen, dass diese Künstler auch nach 1949 mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hatten – und zwar nur, weil sie realistisch-figürliche Visionen in altmeisterlicher Technik malten und somit nicht dem damaligen aktuellen, abstrakten Trend folgten. Der Maler Manfred Bluth berichtet, dass Mitarbeiter des Guggenheim-Museums nach Deutschland kamen, die für die Abstrakte Kunst predigten und vor jeglichem Realismus warnten.

Das geht auch mit der Haltung von Alfred Barr, Direktor des Museums of Modern Art, konform, der vom CIA kontaktiert wurde und die Empfehlung aussprach, abstrakte Kunst im Zeichen des Ost-West-Konflikts als die westliche, progressive Kunst zu fördern. Der Kunsthistoriker J.A.Schmoll genannt „Eisenwert” schreibt:

„Es erwies sich wieder einmal, wie intolerant, ja gefährlich die besonders zum Doktrinären neigende Auffassung wirkte, jede Zeit habe ihren künstlerischen Stil, womit verstanden wird, nur eine jeweils gültige Richtung von möglichst einheitlichem Ausdruck. Die alte Stilfibelsenweisheit lässt grüßen! Dass Stilpluralismus mehr als ein Schlagwort bedeutet, nämlich echte demokratische Vielfalt auch im Künstlerischen, muss sich erst noch mühsam durchsetzen. Es gab nach der dritten Documenta-Ausstellung 1964 das böse Wort von der neuen Diktatur der Abstrakten die ‚unfigürliche Kunst‘ bezeichnet wurde. Jedenfalls vermisste man die gebotene Toleranz gegenüber anderen, vor allem auch surrealistischer Tendenzen.”

1974/75 fand in den Kunsthallen Düsseldorf und Baden-Baden die Ausstellung „Surrealität - Bildrealität 1924-1974” statt, bei der die Entwicklung vom Surrealismus zum europäischen Informell und amerikanischen Expressionismus dargestellt wurde. Der Sinn dieser Ausstellung war: Wenn man den Surrealismus mit seiner internationalen Bedeutung schon nicht übersehen konnte, musste man zumindest von ihm aus den „richtigen” Weg, den er angeblich genommen hatte, hin zum Informel und Tachismus usw. aufzeigen.

Wieland Schmied zeigte 1965 in der Kestner-Gesellschaft Hannover zum ersten Mal in Deutschland Bilder der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus” und organisierte 1968
in Recklinghausen die Ausstellung „Reiche des Phantastischen”, die ein breites Spektrum der Phantastischen Kunst umfasste. Die deutschen Museen und die offizielle Kunstszene reagierten darauf eher mit Misstrauen und Ablehnung, da sie sich mehr nach der nordamerikanischen Kunstszene orientierten. Von dort ist außer Batman und einer Reihe ansehnlicher Fantasy- und Science Fiction-Filme nicht viel aus dem Bereich der phantastischen Malerei gekommen, das erwähnenswert wäre.
Als 1970 die erste Dalí-Ausstellung in Baden-Baden einen für damalige Verhältnisse grandiosen Besucherrekord erzielte, versuchten bei einer Fernsehdiskussion die geladenen und entsetzten Kunstkoryphäen diesen Erfolg in der Weise zu erklären, dass das Publikum immer noch kunstgeschichtlich völlig ungebildet und Dalì genau genommen ein Künstler sei, der im 19. Jahrhundert stecken geblieben war!

Immer wieder hat es auch im deutschsprachigen Raum neben der „Wiener Schule des Phantastischen Realismus", den Ausstellungen von „Mac Zimmermann – Freunde und Schüler" weitere kurzfristige Gruppenformationen von Phantasten gegeben, die sich aus einem bestimmten Umkreis oder einer Region zusammenfanden, meist um eine themenbezogene Ausstellung zu realisieren.

Otfried H. Culmann